Rainer Lewalter

Bass

Normalerweise – ich denke, die meisten werden mir da beipflichten – neigen Musiker zu einem eher gefühlsbetonten Urteil, wenn sie ihre ersten Eindrücke von einem neuen Instrument sammeln. Das war in meinem Fall fast schon schockierend anders, als ich einige Arcus-Bögen zum Testen erhielt.

Vom ersten Augenblick an war ich nämlich fasziniert von der, wenn man das so sagen kann, Intelligenz dieser Bögen. Dass nämlich ein Bogen, der den Vorgaben der eigenen Physis, der individuellen Spielweise (und, wie man weiß, sind wir Kontrabassisten und unsere Instrumente noch viel weniger „normierbar“, als das bei den Streichern in den höheren Registern der Fall ist) und den Anforderungen der von uns jeweils bevorzugten Stilistiken perfekt gerecht wird, schlicht und ergreifend, aber auch höchst unromantisch berechnet werden kann, ja sogar unbedingt werden sollte – das hat schon etwas Provozierendes an sich.

Ich stelle mir vor, dass die Streicherwelt sich vor über 200 Jahren ebenso in die klassischen zwei Lager der enthusiastischen Befürworter und der unnachgiebigen Traditionalisten aufgespalten haben muss, als François Tourte (seines Zeichens Uhrmacher, mithin gewissermaßen Ingenieur und also entschieden „unzünftig“) mit seinen damals ganz neuen und entsetzlich technokratischen Bögen Furore machte.

Da ich als „Freelancer“ nicht gerade mit einem unerschöpflichen Geldbeutel gesegnet bin, habe ich zunächst einen der Veloce Bögen erworben. Dass Arcus den Veloce als eine Art Schülerbogen im Sortiment führt, halte ich bis heute für eine Form des Understatements, das eines britischen Aristokraten würdig wäre. Mein Urteil stand nach einigen Stunden des Einspielens fest – und hat sich bis heute nicht wesentlich geändert: Durch seine Leichtigkeit und Beweglichkeit ist er mein bevorzugter Bogen für Barockmusik geworden. Der Veloce verhält sich, als ob er für das Spiel auf Darmsaiten von Anfang an konzipiert worden sei, was angesichts der durch und durch modernen Gestaltung des Bogens mindestens eine Überraschung ist.

Diese Mischung aus Klangfülle und Beweglichkeit macht denVeloce übrigens auch zu meinem Leib- und Magen-Bogen im Jazz- Kontext, wo ich schon immer sehr gerne arco-Solos gespielt habe. Erst mir dem Veloce ist es mir aber gelungen, mein persönliches Klangideal  in diesem Kontext – das ungefähr am Sound eines Bariton-Saxophons orientiert ist – wirklich konsequent umzusetzen.

Nicht minder geprägt von Überraschungen sind meine Erfahrungen mit dem noblen Concerto, von dem ich zunächst einmal erwartete, dass er in Hinsicht auf den Solovortrag optimiert sei, also dass man damit hauptsächlich seinen Bottesini oder Rabbath zum Besten geben sollte. Das stimmt auch – aber nur unter anderem! Womit ich nicht gerechnet hatte, war allerdings dieses: Mein frisch restaurierter und dementsprechend jugendlich-widerborstiger Fünfsaiter, ein Panormo-Modell, frisst nun gerade diesem solistisch ausgelegten Bogen förmlich aus der Hand. Ausgerechnet auf der tiefen H-Saite, von der man klanglich nicht allzu viel zu erwarten gewohnt ist, produzieren Bogen und Bass zusammen eine Präsenz und Durchsichtigkeit, die für das 16’-Register mein persönliches Nonplusultra darstellt.

Meine Arcus-Bögen haben ihre beiden Fernambuk-Konkurrenten (beide übrigens mit durchaus edlem Brandstempel) zwischenzeitlich so vollständig aus meinem musikalischen Alltag verdrängt, dass ich die beiden Holzbögen mittlerweile verkauft habe. Denn so gar nicht mehr gespielt zu werden, das haben die alten Herren dann auch nicht verdient.

Abschließend möchte ich noch einem Eindruck entgegentreten, der aus dem Vorangegangenen womöglich entstanden sein mag: Nein, es ist keineswegs so, dass mit dem Erwerb eines Arcus-Bogens alle Probleme gelöst seien und man fürderhin keinen Strich mehr üben müsste.

Weit gefehlt! Ich sprach ganz zu Beginn von der „Intelligenz“ der Bögen, und ich meine das ganz ernst: Sie „verstehen“ Musik, egal ob Orchesterstelle oder Solopassage, selbständig und auf fast beunruhigende Weise. Das bedeutet allzu oft, dass man vom System die Rückmeldung bekommt: „Oh doch, dies und jenes ist an sich schon spielbar – so man es denn übt!“. Und das betrifft nicht nur Linien und Artikulationen, sondern auch Dynamiken, von denen man bisher angenommen haben könnte, sie stünden mehr zur Zierde oder gar aus Versehen in der Partitur. Ein zweifacher Trost bleibt in jedem Fall: Auch auf dem Kontrabass sind solche Dinge spielbar – und das Üben macht deutlich mehr Freude, wenn intelligente Partner mit von der Partie sind.